Eindrücke von einer außergewöhnlichen Reise nach Katerini im Ausnahme-Sommer 2020 – und ein Ausblick auf mein neues Buch. Von Matthias Jung
Noch vor vier Wochen hätte ich keine Wette darauf abgeschlossen, dass ich diesen Bericht schreiben kann, zu unsicher ist mein, unser Leben geworden. Und jetzt sitze ich hier am Flughafen in Thessaloniki und warte auf den Rückflug nach Hannover.
Zum dritten Mal nach 2015 und 2019 bin ich hier gewesen, und dieses Mal ist es wirklich unwirklich.
Am letzten Sonntag bin ich mit sieben jungen Leuten, drei Frauen, vier Männer hier angekommen und wir sind nach Katerini gefahren. Dort findet ein Workcamp der Evangelischen Jugend Hannover im bürgerschaftlichen Projekt O topos mou statt, dass ich angeregt und mit geplant habe. Zu Hintergrund und Verlauf gibt es eine eigene Website, da kann nachgelesen werden, wie das Camp möglich wurde, in diesem Jahr, in diesem Ausnahmesommer.
Ich hatte von Anfang an gesagt, ich fliege mit, bringe die Gruppe hin und bleibe ein paar Tage dort. Es war spannend zu beobachten, wie die Sieben sich in den ersten Tagen äußerlich und innerlich angenähert haben, mit großem Engagement und viel Leidenschaft. Und es war ebenso toll zu sehen, wie sich das mit dem verbunden hat, was Elias, Alex und Alkis an Aufgaben auf dem Gelände, aber auch an Ausflügen geplant hatten.
Ich selbst war mittendrin und doch auch nicht. Ich hatte mein Hotelzimmer mit Klimaanlage, ich machte mit beim Kochen, Einkaufen und den Ausflügen zum Strand oder ins Olymp-Massiv – und saß ansonsten viele Stunden in der Tauschbibliothek neben der Solidarischen Apotheke und las mein Buch »Unverbundenes verbinden« Korrektur, das voraussichtlich im Oktober bei Oekom erscheinen wird.
Dort beschreibe ich sowohl biografisch als auch theologisch reflektierend meine dreißigjährige Tätigkeit im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt im Horizont meiner Erfahrungen der letzten Jahre, die zum einen geprägt sind durch die Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation im Horizont der Klimakrise, die sich mittlerweile zur Klima-Corona-Krise erweitert hat. Zum anderen hat mich der Wechsel vom Gemeindepfarramt in die sogenannte »funktionale« Arbeit als Landessozialpfarrer und Fachbereichsleiter Kirche. Wirtschaft. Arbeitswelt eine Zeit lang sprachlos gemacht, und über mehrere Jahre habe ich nach einer »neuen« Sprache gesucht. Dem spüre ich in diesem Buch nach, ich habe dazu viele Gespräche geführt, z.B. mit Anette Fintz, Antje Schrupp, Kübra Gümüşay, Birgit Mattausch. Und viele Bücher gelesen, die mich inspiriert haben, da stehen im Regal Werke von Sarah Spiekermann, Ingolf Dalferth, David Holmgren, Ed und Peter Schein, Harald Welzer und vielen anderen.
Kurz vor dem Abflug nach Griechenland war ich fertig und es galt, alles noch einmal gründlich zu lesen und zu überprüfen. Nicht nur Rechtschreibung und Grammatik, es ging auch um Übergänge und Querverweise, der vielbeschworene rote Faden sollte noch etwas kräftiger hervortreten. Zugleich habe ich in den vier Tagen in Katerini alles, was ich da in den letzten zwölf Monaten gedacht, gesprochen, gelesen, reflektiert und aufgeschrieben habe, auch so noch mal gelesen: Passt das, was ich reflektierend und suchend aufgeschrieben habe, zu den Erfahrungen, die ich in Griechenland bislang gemacht habe und zu den Erfahrungen, die all die Menschen machen, die in diesem Projekt mitwirken oder davon profitieren? Am Mittwoch gegen Mittag war ich fertig und sagte Ja zu diesen Fragen, in aller Vorläufigkeit.
Ich habe versucht, in meinem Buch eine (evangelische) Spiritualität einer verletzlichen Schöpfung zu beschreiben, und Schöpfung meint hier mehr als die »natürliche« Mitwelt, zur Schöpfung gehört auch das, was wir Menschen als mit schöpferischer Kreativität geschaffene Wesen geschaffen haben und weiter schaffen. Dazu gehört für mich Unverbundenes zu verbinden, auch in der Begegnung innerhalb von Europa, ganz praktisch, um voneinander zu lernen und uns aneinander zu erfreuen. Dafür bin ich dann auch bereit, in einen Flieger zu steigen (mit Klimakollekte). Nur über Mails, Whatsapp, Telefon oder neuerdings Videokonferenz geht das einfach nicht, die »gesiebte Realität« der Digitalisierung (Sarah Spiekermann) ermöglicht zwar vieles, aber sie kappt auch viele Sinne in der Begegnung. Diese Erfahrung gerade auch in diesem Ausnahme-Sommer 2020 machen zu können, dafür bin ich sehr dankbar.
(Hinweis zu den Fotos und Abstandsregelungen: Das Konzept wurde so gewählt, dass die Gruppe (nur) mit drei Ansprechpersonen vor Ort regelmäßig in Kontakt steht. Innerhalb dieser Gruppe haben wir auf Masken und Abstand verzichtet, wie auch auf den Fotos zu sehen ist.)