Liebe Freund*innen,
auch im subtropischen Katerini muss der Sommer irgendwann enden und längeren Nächten mit nasskalten Tagen weichen. Dieses Jahr allerdings bringt der November neben herbstlichem Wetter
wie in vielen Teilen Europas auch hier eine dramatische Verschärfung der pandemischen Lage mit verheerenden Konsequenzen mit sich. Beinahe täglich verzeichnen wir wieder neue Rekordstände bei Hospitalisierungen und Todesfällen aufgrund von Covid-19, während die Intensivstationen schon länger weit über Belastungskapazität belegt sind. Die Lage ist angespannt.
Für Kapnikos Stathmos bedeutet das: verschärfte Vorsicht. So achten wir an kontaktintensiven Stellen auf den Impfstatus sowie allgemein auf das Desinfektions-, Abstands- und Maskengebot. Gerade jetzt, wo der Solidarische Weihnachtsmarkt aufgebaut wird, ist das eine notwendige Zusatzbelastung, doch dazu in der nächsten Ausgabe mehr. Auch außerhalb unseres Hofes übernehmen wir jedoch Verantwortung und sehen uns als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung, zum Beispiel durch das Verteilen von gratis FFP-2 Masken an die Grundschulen unserer Präfektur.
Viele weitere Aktionen des Novembers können Sie nun im Folgenden nachlesen. Zur Unterstützung bitten wir Sie, den Newsletter anschließend gerne auch an Bekannte und Freunde weiterzuempfehlen. Mehr zu uns und unseren Projekten finden Sie außerdem jederzeit auf unserer deutschsprachigen Internetseite hier.
Herzliche Grüße aus Katerini,
Ihr Kapnikos-Team
Ein bunter Herbst – unsere Aktivitäten im November
Trotz der Widrigkeiten war auch der November voll von interessanten und spannenden Projekten und Neuerungen, die wir Ihnen in dieser Ausgabe vorstellen möchten. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der umfassenden Reform der Sozialen Lebensmittelausgabe sowie den digitalen Meetings, bei denen wir mit jungen Schüler*innen des Athénée de Luxembourg über die real umgesetzte Kreislaufwirtschaft in den Projekten von Kapnikos Stathmos gesprochen haben.
Von besonderer Bedeutung war auch die erste von zwölf monatlichen Sendungen nach Nordeuböa, wo wir, wie versprochen, 33 schwer von den Waldbränden getroffene Familien mit allem Notwendigen unterstützen. Außerdem gab es öffentlichen Protest, eine farbenfrohe und wohlklingende Ausstellung sowie jede Menge nützliches Material aus Deutschland. Das alles erwartet Sie:
- Das neue KaSta-System für die Soziale Lebensmittelausgabe
- Online Meeting mit Schüler*innen des Athénée de Luxembourg
- Unsere Monatliche Unterstützung für Euböa
- Öffentliche Protestaktion von „I can´t breathe“
- 120 Kisten Solidarität
Das neue KaSta-System für die Soziale Lebensmittelausgabe
Eine kleine Umstellung für eine große Wirkung
Seit mehr als einem Jahrzehnt funktioniert die Soziale Lebensmittelausgabe nach dem gleichen solidarischen Kreislauf-Prinzip: Geben und Nehmen. Menschen in finanzieller Notlage, die keine Möglichkeit haben, sich und ihre Familien mit elementaren Lebens- und Hygienemitteln zu versorgen, können sich bei uns mit allem eindecken, was sie zum würdigen Leben brauchen – Reis, Nudeln, Mehl, Öl, Damenbinden, Seife, Zahnpasta, Toilettenpapier und vieles mehr. Als Gegenleistung fließt jedoch kein Geld, sondern Bezahlung ist das tatkräftige Mitanpacken im Rahmen der eigenen Möglichkeiten, etwa beim Kehren und Wischen, Streichen und Pflegen oder auch Gießen und Pflügen im Garten. Bisher erhielten so alle Arbeitenden nach acht abgeleisteten Stunden im Monat das gleiche Paket, das rund 40 kg in Gewicht und etwa 50€ im Wert beträgt.
Seit längerem beobachten wir jedoch mit Sorge, wie sich die Lage kontinuierlich verschärft. Die fatalen Auswirkungen und Einschränkungen der Pandemie haben zusammen mit einer stur neoliberalen Politik zur fortschreitenden Notlage der Familien und Menschen geführt, denen ohnehin das Wasser bis zum Halse stand. Besonders betroffen ist, wie so oft, die vulnerable Gruppe der Geflüchteten, die obendrein unter den Folgen einer inhumanen und völlig überforderten Migrations- und Integrationspolitik leidet.
Es ist also nur konsequent, dass die Zahl derjenigen, die in das Programm der Sozialen Lebensmittelausgabe aufgenommen werden wollen, schier explodiert ist. Allein seit September haben wir 19 neue geflüchtete Familien in das Projekt integriert, die jeweils 24 Stunden im Monat ableisten. Dazu kommen die zahlreichen anderen Bedürftigen, die nicht direkt mitarbeiten können, aber auf unsere Unterstützung bauen – wie die 33 von der Waldbrandkatastrophe betroffenen Haushalte in Nordeuböa.
Der Kreislauf beginnt aber nicht von selbst in den Lagern von Kapnikos Stathmos. Er beginnt bei den Spender*innen, Aktionen und Maßnahmen, die diese Regale füllen – eine äußerst endliche und vor allem in der Pandemie schwindende Ressource. Um dieser begründet gesteigerten Nachfrage fair zu begegnen und die Ausgabe von weniger Material an mehr Personen bedarfsgerecht zu organisieren, hat Kapnikos Stathmos deshalb eine umfassende Reform eingeleitet. So gilt seit Ende November für alle das neue KaSta-System.
Es handelt sich hierbei um unsere eigene Art von Währung, mit welcher ab sofort regelrecht bei uns eingekauft werden kann. Für jede erbrachte Stunde Arbeit werden nun 10 KaSta gutgeschrieben, was einer Kaufkraft von ungefähr 3€ entspricht – in etwa der griechische Mindestlohn. An jedem letzten Dienstag und Freitag eines Monats öffnet dann der Soziale Supermarkt für die Berechtigten, die sich nach ihren je eigenen Bedürfnissen und Vorlieben mit den in KaSta bepreisten Artikeln eindecken können. Der KaSta-Preis der Produkte ist dabei selbstverständlich den Gegebenheiten angepasst, sodass zum Beispiel Windeln nicht im Kurs 3 KaSta zu 1 € Realwert bepreist sind, sondern weitaus günstiger ausfallen. Die bisher gewohnte, üppige Monatsration ist nun nach 12 Stunden erreicht.
Diese Umstellung führt augenscheinlich dazu, dass die Ressourcen effizienter verteilt werden, weil wirklich nur das im Korb landet, was gebraucht und gewollt wird. Darüber hinaus aber führt es auch dazu, dass die je individuellen Bedürfnisse besser zum Tragen kommen und die Berechtigten selbst über den Lohn ihrer Arbeit bestimmen können, würdevoll. Uns ist zwar bewusst, dass unser Spielraum begrenzt ist und wir keinesfalls staatliche Fürsorge gänzlich ersetzen können. Trotzdem sind wir gemäß unseren Werten und Prinzipien fest entschlossen, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um solidarische Antworten auf die Not unserer Mitmenschen zu finden. Die ersten Erfahrungen nach der Umstellung stimmen uns indes positiv und optimistisch, einen wichtigen Beitrag zu leisten.
Online Meeting mit Schüler*innen des Athénée de Luxembourg
Kapnikos Stathmos als Vorbild für echte Kreislaufwirtschaft
Eines der Grundprinzipien, das sich auf die eine oder andere Art in allen Projekten von Kapnikos Stathmos wiederfindet, ist das Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Die Idee dahinter ist einfach: Gebrauchsgegenstände und Rohstoffe sollen so lange wie möglich gänzlich oder teilweise im aktiven Nutzzustand oder in Verwendung gehalten werden, um so auch die Belastung der Umwelt durch Abfälle so gering wie möglich ausfallen zu lassen. Die Recycling-Tonne ist dabei nur ein kleiner Faktor, viel entscheidender ist die Einrichtung von durchdachten Praktiken, funktionierender Infrastruktur und nicht zuletzt die Geisteshaltung dahinter.
Sehr anschauliche und seit gut einem Jahrzehnt eingeübte Anwendungen dafür finden sich bei Kapnikos Stathmos, etwa in Form der Sozialen Apotheke. Hier werden Arzneimittel, die sonst als Müll in der Tonne oder dem Abwasser landen würden, so selektiert und aufgewertet, dass rund 600 Medikamente im Monat an Bedürftige ausgegeben und sogar staatliche Träger von uns versorgt werden können. Das ist mit viel freiwilliger Arbeit verbunden, aber der Mühe unbedingt wert.
Voraussetzung für das Gelingen dieser Kreisläufe ist immer auch das Bewusstsein derer, die uns ihr nicht mehr gebrauchtes Material zur Verfügung stellen oder eben derer, die freiwillig kommen, um das Material zu selektieren, zu kontrollieren und wieder nutzbar zu machen. Um dieses Bewusstsein zu stärken und zu verbreiten, ist in erster Linie Aufklärung und Vormachen gefragt, vor allem für Kinder und junge Erwachsene. Auch drei Schulen aus Belgien, Deutschland und Luxemburg haben das erkannt und die Projekte von Kapnikos als Unterrichtsfach auf ihren Lehrplan gesetzt, als Beispiele lebendiger Praxis eines sonst theoretischen Konzepts.
Im Rahmen dieser engen freundschaftlichen Kooperation, welche auch europäisch geförderte Erasmus+-Projekte umfasst, hat deshalb an zwei Montagen in diesem Monat ein digitales Meeting mit jeweils vier Klassen des Athénée de Luxembourg stattgefunden. Hier hat Elias Tsolakidis Gelegenheit gehabt, mit einer Aula aufmerksam beteiligter Schüler*innen über das Prinzip der Kreislaufwirtschaft zu reden und darzulegen, wie diese konkret aussehen kann. Eine Form, die dabei im Mittelpunkt stand, ist unser Solidarischer Weihnachtsmarkt, denen wir ausführlich im Newsletter des Dezembers vorstellen wollen.
Solche Projekte mit direktem Bezug zu Alltag und auch der eigenen Lebenswirklichkeit eignen sich viel besser dazu, das Interesse und die Neugier von zwölfjährigen Heranwachsenden zu wecken. Das bestätigt uns auch Marc Franck, Lehrer und engagierter Koordinator des regen Austausches zwischen Katerini und Luxemburg, immer wieder. Wir freuen uns über jede Gelegenheit wie diese, direkt mit jungen Menschen zu arbeiten und freuen uns schon sehnsüchtig auf die Zeit, in welcher das wieder sicher hautnah stattfinden kann.
Unsere Monatliche Unterstützung für Euböa
Die ersten Pakete für 33 Familien in Not auf dem Weg nach Euböa
Nach den verheerenden Waldbränden des Augusts hat Kapnikos Stathmos schnell reagiert und mit überwältigender Unterstützung der regionalen und grenzübergreifenden Solidargemeinschaft die Sammlung und Organisation von Hilfsgütern für Betroffene auf die Beine gestellt. Auf diese Weise sind dutzende Paletten mit akut benötigten Materialien wie Wasser oder Lebens- und Hygienemittel geprüft, sortiert und beschriftet vor allem in das besonders stark betroffene Nordeuböa geschickt worden. Auch den Schulbedarf für über 1200 Kinder und die unterstützende Versorgung der kämpfenden Feuerwehr mit Sofort-Kits wurde logistisch von uns in Angriff genommen und bewältigt.
Schon im Sommer jedoch war klar, dass effektive Hilfe bei Wiederaufbau und Konsolidierung eine kontinuierliche, zielgerichtete und bedarfsgerechte Unterstützung voraussetzt. Es braucht stabile Partnerschaften. Aus diesem Grund haben wir, mit Hilfe des Förder- und Freundeskreis Elliniko e.V. aus Hamburg, die monatliche Grundversorgung von 33 großen und besonders hart getroffenen Familien für 12 Monate übernommen. Die Adressen wurden von der Kommune vor Ort ausgesucht und uns übermittelt, sodass die Auswahl von denen erfolgt, die die einzelnen Schicksale am besten kennen.
Wir sind sehr glücklich darüber, am 30. November die ersten drei Paletten mit 33 vollen Paketen (1.330 Kgr) nach Nordeuböa verabschiedet zu haben. Mit Hilfe der solidarischen Unterstützung der regionalen, nationalen und europäischen Zivilgesellschaft werden im Verlauf des nächsten Jahres jeden Monat drei weitere folgen.
Öffentliche Protestaktion der Bürgerinitiative „I can’t breathe“
Katerinis Bürger*innen beharren auf ihr Recht auf eine gesunde Umwelt
Auch wenn die Sommerabende vorbei sind und offene Fenster und Balkontüren kein Thema mehr sind, hat sich das Problem nicht einfach von selbst gelöst. Die Rede ist vom unerträglichen Gestank, verursacht durch den außerordentlich umweltschädigenden und widerrechtlichen Umgang mit Schlacht- und Zuchtabfällen der örtlichen Viehzuchtindustrie. Schon im letzten Newsletter haben wir von unserer Unterstützung des Anliegens der Bürgerinitiative „I can´t breathe“ berichtet, die sich vehement für die Behebung dieses Missstands einsetzt.
Auch im November nun haben wir uns ordentlich Gehör verschafft bei der kommunalen Politik. In einer eindrucksvollen Aktion vor dem Rathaus haben sich Mitglieder von „I can´t breathe“ und Kapnikos Stathmos zu einer öffentlichen Sitzung versammelt und offiziell den Bürgermeister der Stadt an den Tisch gebeten. Geplant war ihm persönlich die Forderung zu übermitteln, das Problem auf die Agenda der nächsten Stadtratssitzung zu setzen und als einzigen Tagesordnungspunkt zu besprechen.
Leider war der Bürgermeister nicht bereit, selbst aus dem Rathaus zu kommen. Stattdessen hat einer seiner Stellvertreter uns versichert, dass unsere Bedenken gehört und ernst genommen werden, und dass innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate Schritte unternommen werden. Wir erwarten die Einhaltung aller Versprechungen und halten den Druck indes weiter aufrecht.
120 Kartons Solidarität
Eine große solidarische Aktion aus Hannover
Seit vielen Jahren schon verbindet Kapnikos Stathmos ein reger Austausch mit Hannover. Viele, lange zurückreichende Freundschaften haben sich hier aufgebaut, welche oft Anstoß für großartige Projekte und wichtige Unterstützungsaktionen waren. Zusammen mit der evangelischen Landesjugend Hannovers wird zum Beispiel jeden Sommer das Austauschprojekt Summer Camp organisiert. Auch der Kontakt zum Historiker Karl-Heinz Roth ist durch Freunde in dieser Stadt entstanden. Seine bedeutenden Untersuchungen rund um die Reparationsfrage Deutschlands gegenüber Griechenland haben wir ins Griechische übersetzt und hierzulande verfügbar gemacht.
Durch eine weitere dieser wichtigen Solidaritätsaktionen sind Ende November 120 Kisten voll sortierter Kleidung, Bettwäsche, Spielzeuge, Kuscheltiere, Hygieneartikel und Gehilfen bei Kapnikos angekommen. Absender war Geert Platner, der das ganze Spendenmaterial in einer großen Aktion und unter überragender Resonanz über acht Wochen lang zusammengestellt hat. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei Allen, die ihren Teil beigetragen haben und vor allem auch bei Geert für seinen ausdauernden Einsatz.